Von Levin Meis (20), seit Januar 2018 in Brasilien unterwegs.
Bahia, schon der Name strahlt einen Teil des Rhytmus und der Schönheit von diesem brasilianischen Staat aus. Mit einer Fläche so groß wie Frankreich, ist Bahia längst nicht der größte Staat der Föderation, dafür umso berühmter.
Die am nördlichen Küstenabschnitt gelegene Großstadt Salvador, repräsentierte die portugiesische Kolonie über Jahrhunderte als Hauptstadt und stellt bis heute ein kulturelles, wie wirtschaftliches Zentrum an der Ostküste Südamerikas dar.
Hier landeten die vollgepackten Sklavenschiffe und brachten eine unüberschaubare Anzahl Afrikaner ins Land, welche über Jahrhunderte die Wirtschaft der Portugiesen auf ihren Schultern tragen sollten.
Der afrikanische Einfluss spiegelt sich bis heute besonders in der Kultur wieder. Vieles, wie Religion oder Musik und Tanz, wurde beibehalten und hier, fern von den Kap Verden oder der Elfenbeinküste, auf eigene Art bewahrt. Dieser Stil, der über die Jahre immer aufgeschlossen war für neue Einflüsse, ist ein wichtiges Standbein der brasilianischen Identität geworden.
Aber auch die Probleme Bahias, egal wohin man schaut, sind offensichtlich. Allgemein gilt in Brasilien, dass der Wohlstand, je weiter es nach Norden geht, immer weiter abnimmt. So gibt es in Bahia viele Menschen, die mit wenig klarkommen müssen und unter der Armutsgrenze leben.
Viele Baianos wohnen in einfachen Holzhütten, in kleinen Dörfern auf dem Land, umgeben von einer Natur, die so reich ist, dass sie schon ohne Bewirtschaftung viele Menschen ernähren könnte.
Biegt man in einer ländlichen Region kurz von der Straße ab und begibt sich auf einen kleinen Spaziergang durch den Wald, ist schnell deutlich, wie reichhaltig dieser Teil des atlantischen Regenwaldes ist, der sich fast über ganz Brasilien erstreckt. Papayas, Mangos, Avocados, Bananen, Ananas und eine unüberschaubare Anzahl essbarer Pflanzen füllt hier die Vegetation aus.
So ist es auch in der Umgebung von Itacaré, eine Kleinstadt, die sich in den letzten dreißig Jahren von einem fast unerreichbaren Fischerdorf zu einem touristischen Hotspot gewandelt hat. 250 km südlich der Hauptstadt Salvador, ist Itacaré heute ein hipper Surferort, der ein stetig wachsendes internationales Publikum anzieht.
Die Wellen und Strände haben Itacaré so bekannt gemacht, dass die besten Surfer der Welt sich hier regelmäßig den heranrollenden Wassermassen stellen.
Das Surfen verleiht der Kleinstadt den Flair, der die Reisenden der Welt so magisch anzieht.
Weiter im Landesinneren, weg von den Reisebürokatalog-Stränden, gelangt man immer näher an den wahren Spirit von Bahia, von dem im ganzen Land erzählt wird. Das direkt an einem Fluss gelegene Dorf Taboquinhas verkörpert viel davon. Schon über 150 Jahre leben die Bewohner hier vom Kakao, der bis heute reichhaltig in den umliegenden Wäldern wächst. Die Bauern haben ihre kleinen Fazendas im ganzen Umland verstreut, überall da wo Platz ist und vorher niemand wohnte. Adresse? Baugenehmigung? Nicht nötig.
Auch hier sind die Leute eher arm als reich, unzufrieden scheinen sie aber nicht zu sein. Die Mentalität versprüht vielmehr Frohmut in einem sehr ausgeprägten Sozialleben.
Geht man allein durch eine mittelgroße Stadt in einer anderen Gegend der Welt, wird man meist allein und in Ruhe gelassen. Hier jedoch, sind Diskretion und Anonymität ein Ding der Unmöglichkeit. Taboquinhas lässt dich nicht einmal 25 Meter zur nächsten Padaria (Bäckerei) gehen, ohne dass du von mindestens drei Leuten überschwänglich begrüßt und in ein Gespräch verwickelt wurdest. „Mal eben Brötchen holen“ – nicht möglich, ohne wenigstens 30 Minuten aus dem Haus zu bleiben.
So sind Tugenden, die anderenorts in den großen Städten der Erde, sehr geschätzt werden, hier nahezu verpönt. Baianos sind von Natur aus lässig und entspannt. Alles läuft etwas langsamer ab und frei von irgendeinem Leistungsdruck.
Hier bleibt immer Zeit das gestrige Spiel der Selecaõ zu besprechen oder einfach den Alltag durch Pausen oder ähnliches ein wenig angenehmer zu gestalten.
In der idyllischen Natur der Umgebung liegen überall, von einfachen Pisten verbunden, die Häuser von Bauern und Arbeitern. Eine handbetriebene Fähre über den Fluss ist ganztägig von einem engagierten Bürger des Dorfes besetzt. Ein Fährmann, der mit dicken Lederhandschuhen das Boot an einem Stahlseil über den Fluss zieht und so die Bewohner von früh bis spät mit all ihrer Habe von einem Ufer zum anderen bringt.
Scharen von kleinen Affen bevölkern die Baumkronen der Wälder, die die Straßenränder der Region säumen. Entlang der Piste begegnen einem immer wieder Fußgänger, Reiter auf Maultieren, Motorräder und selten mal ein Auto, das von einer großen Staubwolke verfolgt wird.
Die meisten Menschen auf der anderen Seite des Flusses, leben in einfachen Hütten aus Holz und Stein. Das Leben dieser Baianos ist mit dem eines Selbstversorgers zu vergleichen. Viele pflanzen Maniok, Papayas, Bananen und andere essbare Früchte und profitieren von den Gaben des Waldes.
Ein Leben das vielleicht so manchem Europäer nicht genügen würde. Die Menschen der Hügel von Taboquinhas, geben sich jedoch damit zufrieden, sie sehen das Positive.
Selbst die Bauern, die mit harter Arbeit die Kakaobäume in den Tiefen des Waldes ernten und pflegen, geben sich mit dem zufrieden was für ihr Leben reicht. Fast täglich ziehen sie, bewaffnet mit Macheten, in die Wälder, um sich den Pflanzen zu widmen. Sicher eine erfüllende Arbeit, zwischen riesigen Bäumen den Kakao zu pflegen und bei jeder Gelegenheit die bunten Früchte des Urwalds zu genießen. Jedoch fehlt oft eine Art ökonomischer Gedanke, der Arbeit und Lebensbedingungen vieler Leute hier verbessern könnte.
So leben viele Kleinbauern ganz allein von den Kakaobohnen der Wälder. Die Erträge der Bäume können allerdings von Jahr zu Jahr stark schwanken. Aggressiver Pilzbefall oder eine anhaltende Trockenphase können die Ernten stark dezimieren und dann hat die Familie noch weniger.
Dabei hätten andere Bäume und Sträucher, die sich rund um den Kakao in die Höhe recken, auch so viele Möglichkeiten zu bieten. Überall wachsen schließlich Früchte, zusätzlich Nelken, nutzbare Palmen und vieles mehr. Eine Chance die nur selten genutzt wird, denn diese Reichtümer werden von den Bauern oft einfach links liegen gelassen.
Die ungenutzten Möglichkeiten, grenzen den Wachstum der kleinen Fazendas erheblich ein. Den Männern Untätigkeit vorzuwerfen, wäre allerdings auch falsch. Sie arbeiten nicht nur hart und lange unter der schweißtreibenden Sonne von Bahia, sie bilden auch regionale Zusammenschlüsse. Dort werden Gedanken über die Vermarktung der Bohnen ausgetauscht, sowie über die Nachaltigkeit und Biodiversität des Waldes. In regelmäßigen Treffen arbeiten die Farmer an einer organischen Landwirtschaft, frei von Herbiziden und anderen Chemikalien. So werden die Schätze des Waldes mit zunehmendem Erfolg für die Zukunft gesichert. Wälder und Böden, stellen die natürlichen Ressourcen der Bauern von Taboquinhas dar, von denen hier sehr viel abhängt.
Die Menschen hier zu bemitleiden wäre ebenfalls falsch! Auch wenn das Leben hier sehr einfach ist, sind nur die wenigsten unglücklich.
Einige Europäer suchen diesen Spirit von Bahia und beginnen hier ein neues Leben, fern von den Zwängen der großen Städte. Die Einheimischen schätzen die Zuwanderer sehr und nehmen jede Hilfe im Anspruch. Viele der Neulinge sehen die Probleme mit anderen Augen und können anhand ihrer Erfahrungen aus Europa, die Abläufe des Alltags verbessern.
Die Bildungsrate in vielen Gebieten Brasiliens und speziell Bahias, ist auch heute noch erschreckend niedrig. Analphabetismus ist verbreitet und Bildungslücken fallen immer wieder auf. Selbst praktizierende Lehrer beherrschen oftmals ihr Fach nicht ausreichend, um das nötige Wissen zu vermitteln. Das Beispiel einer Englischlehrerin verdeutlicht das. Sie unterrichtet Kinder und Jugendliche und regelmäßig auch Erwachsene, ist aber selbst nicht in der Lage eine englische Konversation zu führen.
So sind die Bildungsmöglichkeiten, die weitreichende Chancen bedeuten könnten, von vornherein eingeschränkt. Eine Herausforderung für Zukunft das zu ändern.
Doch auch wenn die Leute hier mit unzähligen Schwierigkeiten zu kämpfen haben und neue Probleme schon in der Zukunft bereitstehen, ist der eigentliche Reichtum der Menschen aus Frohmut und Gelassenheit gemacht. Ein Gut, viel wertvoller, als jeder brasilianische Real je sein könnte!