Von Levin (20), seit 8. Januar 2018 in Brasilien unterwegs.
Brazil. Rio de Janeiro. Visconde de Maua.
Fern der massenbevölkerten Häuserschluchten von Rio de Janeiro und Sao Paulo, liegt in mitten der Serra Negra das kleine Dorf Visconde de Maua oder einfach Maua.
Im stetigen Wechsel von Regen und Sonne, wird hier ein ganz anderer Rhythmus gefahren, als ihn die meisten „modernen“ Menschen kennen.
Zwischen den postkartenreifen Tälern und Wäldern, angrenzend an den über 80-jährigen und damit ältesten Nationalpark Brasiliens, leben die Einheimischen in Frieden und Entspannung ein einfaches aber gutes Leben.
Auch wenn die Serra im Sommer oft tagelang in dichte Vorhänge aus Wolken gehüllt ist, so dass man das Auto des Nachbarn kaum vom Dunst unterscheiden kann, arbeiten die Leute hier rege, hart, doch nur selten abnutzend und gestresst.
Ein Großteil der Einheimischen arbeitet für sich und so auch meistens für die Nachbarn und die anderen Bewohner der Gegend. All die unterschiedlichen Fähigkeiten eines jeden, werden überall gebraucht: Ob der, auf dem Bau talentierte, Nachbar mal wieder den, irgendwie gefährlich wirkenden, Kabelsalat vor der Haustür fachmännisch ordnen soll, oder ein anderer sich mal eine halbe Stunde unter den schon wieder verdächtig stotternden VW Käfer legt, untereinander wird sich geholfen, ganz ohne Rechnung und Finanzamt, wäre doch auch langwierig und unnötig kompliziert.
Und kann der Eine das Tagwerk des Anderen, aufgrund akuter Finanznot, mal nicht mit barer Münze entlohnen, tun das auch ein paar neuwertige Plastiktonnen, eine importierte Taschenlampe oder einfach ein paar Wochen Wartezeit, bis der passende Betrag zusammengetragen ist.
Niemand hat hier besonders viel, aber das Fehlende vermissen nur wenige, es gibt wichtigeres zu tun. Die Touristen werden das Geld herbringen, ob morgen oder in unbestimmter Zukunft ist eher zweitrangig. Im Paradies lebt man ja schon, da kriegt man den Tag auch ohne Medienbeschallung und dickem Konto rum.
Fährt man bis zum Ende des Tals und biegt, kurz vor den üppigen Wasserfällen, in eine staubige, rote Piste ein, gelangt man irgendwann in die Nachbarschaft von Paolo. Auch hier kreist an sonnigen Tagen der Rabengeier „Urubu“ und die vielen Kolibris klappern knatternd an der ungeheuren Blütenpracht entlang.
Paolo, der studierte Tourismusexperte, baut auf seinem Land nach und nach Hütten, die er dann an Besucher vermietet. Auch bei ihm ticken die Uhren anders, kein Druck von Oben, er ist sein eigener Chef.
Genau der Grund, warum er sich GEGEN ein klassisches Arbeitsleben in der Stadt entschieden hat und FÜR eine Art Austeigerleben in den Bergen der Serra Negra. Wasser kommt aus dem Fluss und der Strom, wenn es gut läuft und nicht der Blitz mal wieder die Energieversorgung für ein paar Tage lahmgelegt hat, aus der Dose.
Sein Land hat Paolo vor 15 Jahren als festgetretenen Weidegrund erworben. Davon ist heute nichts mehr zu erahnen. Über knapp 1500 Quadratmeter erstreckt sich ein dichter Wald von höchster Vielfalt: Mangos, Ananas, Zitronen, Bananen, Avocados und diverse Kräuter, hier ist fast alles zu finden – Paradies eben.
Das Wachstum der Pflanzen ist hier also eher zu bekämpfen als zu fördern. Überall auf dem Gelände gibt es Baustellen, herumliegende Bretter, Baustofflagerplätze oder einfach ein, noch nicht fertiges, Projekt. Ein organisierter Bürger Deutschlands würde diesen Stil vielleicht als „Messitum“ bezeichnen und vieles als Müll, aber wozu, es geht doch voran.
Die Erklärung von Paolo zu der Sachlage hier, wäre eher so: Es ist eine weitreichend genutzte Recyclingkultur, als nachhaltige Alternative zur wachsenden Wegwerfgesellschaft in anderen Teilen der Welt. Mit dem Konsumwahn der stetig wachsenden und immer globaler auftretenden Gesellschaft, ist Paolo gar nicht einverstanden.
So wird hier nur vegetarisch gegessen und das Essen kommt aus den umliegenden Dörfern der Region. Auch die Energie wird möglichst Lokal generiert und verbraucht. Die Natur und das Land sind hier die höchsten Güter und das versucht Paolo in seinem permakulturellen Leben immer zu berücksichtigen.
In Maua, zwischen den grünen Bergketten und rauschenden Bächen, kann man das Glück auch ohne viel Vermögen finden. Eine Katastrophe könnte die Erde heimsuchen, während hier die Sonne in den Abendstunden den Nebel der Berge in ein helles Licht taucht. Und man wäre sich sicher, dass der nächste Tag genauso friedlich und still zu Ende geht wie dieser.
Wäre da nicht das ständige „Gib Laut“ der Hundemeute.