Chinglish

„Aufwachen, packen und ab!“, ist die Ansage von Tim in unserer „WeChat“-Gruppe, der chinesischen Version von WhatsApp. WLAN gibts an jeder Ecke und der Chinese kommuniziert mehr übers Smartphone, als im guten alten Gespräch. Aber westliche Sozialmedien sind tabu – so wills die Partei.

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Unser Fahrer wartet vor dem Hotel, schon leicht angefressen, weils bei uns länger dauert. Mücke fehlt… Er war in der Nacht zuvor übereuphorisch übers Ziel hinausgeschossen und hat seine 6 Wecker nicht gehört. Schlagzeuger Pidde hilft ihm auf die Socken.

Mit dem Zug solls heute weitergehen nach Xinxiang, einem Provinznest mit „nur“ 6 Mio Einwohnern. Unser Fahrer bringt uns zu einem gigantischen Gebäude – ein Flughafen? Nein, ein chinesischer Bahnhof. Einfach nur groß und jeder Koffer muss durch den Scanner.

Bis wir auf dem Gleis stehen sind unsere Tickets sicher 5 Mal den aufmerksamen Augen eines Kontrollettis ausgesetzt gewesen. Für viele Menschen muss es auch viele Aufgaben geben und so werden hier überall irgendwelche Posten aufgestellt. Am Zug – einer Bimmelbahn – ist schon eine lange Schlange. Grund 1: Ein weiteres Mal den Fahrschein vorzeigen. Grund 2: Seeeeehr viele Menschen wollen mit. Da unsere Reisegruppe 6 Koffer, 3 Gitarren, Bass, Trommel, Merchandise-Koffer und einige Rucksäcke dabei hat, ist die Tortur im Abteil perfekt.

Die wabernde Menge schiebt, drückt und schwitzt. Koffer werden mit Gewalt und Kreativität in die Ablagen gedrückt, aber: Es wird mit stoischer Ruhe ertragen, begleitet von schüchternem Lächeln.

7 Stunden Fahrt: Menschen hocken, stehen, kauern, sitzen, liegen und pennen in den absurdesten Lagen. Dann ist es irgendwann, irgendwie geschafft und die Band quält sich in Xinxiang aus der Bimmelbahn. Als zwischen Gleis und Ausgang wieder mehrfach die Fahrscheine gefordert werden, fühle ich eine gewisse leere im Hirnkasten, in dem ein buntes Fragezeichen hüpft. Aber zu viel Fragen gehört sich nicht im Reich der Mitte und so schweige ich und belausche die westfälische Mundart von Bandleader Tim, die sich den Kontrollettis widmet.

Recht schnell ist klar, dass Xinxiang nicht Peking ist. Hier sehen wir nicht einen einzigen Menschen ohne chinesische Gesichtszüge. Das Gewusel ist noch wuseliger und das Essen noch gruseliger. Von Hühnerfüßen über Oxenpenis und Augen, bieten die Straßenstände hier so einiges für den Fremdling ungewohntes.

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Hotel beziehen, Soundcheck, Auftritt, Speis und viel Trank. Das sind die festen Zutaten für jeden Tourtag. Heute spielt eine lokale Punkband den Support. Roger, ein alter Bekannter der IGNITION-Boys, und Sänger besagter Punk-Truppe, platzt in den Backstageraum und ein wildes Umarmen setzt ein. Mit einem Knall setzt der füllige Mann mit auffälligem Irokesenschnitt einen Plastikeimer auf den Tisch, der Inhalt: Fleischstücke mit Knochen, die so aussehen, als ob ein Schwein mit einer Axt in kleine Klumpen gehauen wurde. Schmeckt aber, denn Roger ist im wahren Leben Koch.

Ich versuche ihn zu interviewen, was nicht einfach ist, denn Roger und Band schreiben zwar englische Texte, sprechen aber nur eine kleine Wortauswahl. Die Instrumente haben sie sich selbst vor gerade einmal 8 Jahren beigebracht, als sie englische Punklieder hörten und geil fanden. Vielleicht ein gutes Beispiel chinesischer Jugend. Sie sind unglaublich gut darin Dinge zu kopieren, die sie aus der westlichen Kultur aufgeschnappt haben – das gilt übrigens für viele Lebensbereiche in China scheint mir: „No time to waste, just Copy & Paste.“

Vielleicht sollten wir Deutschen auch einfach mal was gutes nachmachen, statt immer unser eigenes Zeug zu entwickeln, was dann häufig nicht klappt (denk ich so zwischendurch).

Ganz perfekt ists aber auch nicht immer, gibt Roger mit breitem Grinsen zu: „What we write is not English, it’s Chinglish“ – wahrscheinlich ist auch das auf andere Bereiche übertragbar.

Egal: Rogers Band ist laut, macht wilde Moves und schüttelt die Gäste ordentlich durch, bevor Headliner THE IGNITION im „ARK LIVEHOUSE“ von
Xinxiang richtig am Kabel zieht (auch noch lange nachdem der letzte Akkord verklungen ist).

Rock ’n‘ Roll!